Christoph Ross ist Bereichsleiter für Innovations- und Qualitätsmanagement bei der Volksbank im Münsterland eG.
Sein Team beschäftigt sich mit den Themen Transformation, Projektmanagement, Geschäftsentwicklung und auch Data Science.
Das Unternehmen hat mittlerweile eine Bilanzsumme von 10,5 Milliarden und rund 1.500 Mitarbeitende an drei bis vier Verwaltungsstandorten.
Die letzten Jahre hat sich auch Christophs Team stark vergrößert: Noch vor zehn Jahren waren sie zu fünft, heute führt er etwa 20 Personen, dazu kommen Trainees und weitere Mitarbeitende.
Mit ihm sprach ich über das Thema „Junge Führung“.
Katharina: Lieber Christoph, seit wann bist du Führungskraft?
Christoph: Ich habe diesen Titel seit 2010. Aber wenn du mich jetzt fragst, seit wann ich mich so richtig als Führungskraft fühle, würde ich sagen, dass das deutlich später gewesen ist. Ich glaube, das ist ein Reifeprozess und ich fühle mich heute noch nicht als perfekte Führungskraft. Gerade steht der nächste Schritt vor der Tür, die Anzahl der Mitarbeitenden wird noch einmal deutlich erhöht. Das macht auch etwas mit mir und ich muss mir wieder neue Techniken überlegen: Wie gehe ich eigentlich damit um und wie kann ich trotzdem meine Vorstellung von Führung in Anwendung bringen?
Katharina: Das bedeutet aber auch, dass du als Führungskraft nie ausgelernt hast, oder?
Christoph: Ja, man befindet sich in einem ständigen Reflexionsprozess. Wenn man aus der frühen Führungsphase und beispielsweise aus einem Mentoring-Modell ausscheidet, braucht man dringend andere Spiegel- und Reflexionsmöglichkeiten. Und natürlich braucht es die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen. Ich glaube, dass man jeden Tag etwas Zeit damit verbringen sollte, Dinge zu lernen. Es geht dabei nicht darum, ein Buch zu studieren. Manchmal sind es nur Effekte, die man aus der Zusammenarbeit mitnimmt und sagt: „Nächstes Mal machst du das anders.“ Und das hört nicht auf.
Katharina: Ich finde es spannend, dass du so ein wandelndes Geschöpf zwischen den Zeiten bist. Du kennst das, was wir heute „alte Führung“ nennen würden, setzt aber in deiner Rolle viele neue, moderne Akzente. Ich würde gern von dir wissen, was du sagen würdest, wenn ein Mitarbeiter zu dir kommt und sagt: „Christoph, ich möchte gerne Führungskraft werden. Was soll ich tun?“
Christoph: Ich würde immer sagen: „Versuch dich erst mal daran, Verantwortung für etwas zu übernehmen, für einen bestimmten Zeitraum, und das auch sehr konsequent zu tun.“ Nicht als One-Man-Show, sondern eben Verantwortung für ein Thema zu übernehmen. So kann ich Führung auch ohne Führungsauftrag ausprobieren, um zu schauen: Klappt das? Was muss ich beachten? Was bedeutet das? Bewusst Verantwortung für etwas zu übernehmen, spielt in der Führung eine große Rolle, ich übernehme vielleicht zum ersten Mal Verantwortung in einem etwas größeren Rahmen. Und das sollte man testen.
„In so eine Nummer muss man erstmal reinwachsen und gefühlt habe ich da ziemlich viel Zeit für gebraucht.“
Katharina: Ist Führung heute anders als vielleicht noch vor 15 Jahren?
Christoph: Ich würde sagen, dass das „Alte“ nicht weg ist, es schleicht sich höchstens aus. In der Führung ist es wichtig, wie wir miteinander umgehen und wie Menschen miteinander umgehen. Und ich glaube, dass die Menschen, die wir heute Boomern nennen, einfach in Zeiten aufgewachsen sind, die etwas anders strukturiert waren, beziehungsweise in der Hierarchie eine ganz andere Rolle eingenommen hat, als das heute der Fall ist. Aber aus gutem Grund sind hierarchische Strukturen auch heute noch da. Mir hat mein Vorstand gesagt: „Herr Ross, Sie wollen hier mit Ihrer Agilität die Anarchie einführen.“ Da habe ich gesagt: „Nein, Agilität ist ja etwas, was eigentlich im Kapitalismus geboren worden ist, bestimmte Dinge besser zu machen.“ So gegensätzlich sind diese Dinge also nicht.
„Es gibt keine Schubladen für die Generationen Y oder Z.“
Katharina: Aber was ist dann heute definitiv anders?
Christoph: Ich arbeite viel mit jungen Menschen Anfang 30, bei denen man schon bemerkt, dass etwas anders ist. Diese Mitarbeitenden sind mit anderen Werten im familiären Umfeld aufgewachsen, haben ein anderes Erleben und teilweise auch anders gelagerte Wertesystem. Und sie sind auch anders zur Schule gegangen als ich zum Beispiel. Wir hatten maximal ein Handy und konnten Textnachrichten tippen. Heute sitzen sie im Unterricht und befragen ChatGPT, wie denn jetzt der Sachverhalt ist und erklären es der Lehrkraft, nicht andersherum. Früher wies man Arbeit an und sagte: „Du machst jetzt das und sieh zu.“ Heute ist es eine eigene und neue Führungsaufgabe, mit den Menschen Ziele zu vereinbaren und sie gewinnbringend im Team einzusetzen.
Katharina: Du hast zwei Punkte genannt, die aus deiner Perspektive für junge Führungskräfte wichtig sind: Zum einen das Übernehmen von Verantwortung, zum anderen das Verbinden von Alt und Neu. Hast du noch einen dritten Tipp?
Christoph: Mit hat es extrem geholfen, einen sehr engen Draht zur älteren Generation aufzubauen und mir einen Mentor zu suchen. Ich sage immer: Ich habe vier verschiedene Chefs gehabt und jeder Chef hatte was für sich. Jetzt bekomme ich den Fünften und das wird wieder eine Änderung sein. Es geht immer darum, sich aus jeder dieser Phasen jeweils etwas rauszuziehen, zu adaptieren und mit eigenen Ideen anzureichern. Was das letztendlich ist, ist super unterschiedlich. Was dabei aber wichtig ist: Dieser Mentor sollte eine Persönlichkeit sein, von der man glaubt, dass man sich wirklich etwas abgucken kann. Wenn das nicht stimmt, klappt das meistens nicht so gut.
Katharina: Ich finde das Thema Rollenflexibilität total wichtig und du hast auch schon angesprochen, wie wichtig es ist, Führung einfach mal ausprobieren zu können. Wie setzt du das in einem Unternehmen um, das zwar auf dem Weg hin zu flacheren Hierarchien ist, aber auch noch sehr hierarchisch strukturiert ist?
Christoph: Was mir wichtig ist, ist es nahe bei den Menschen zu sein und zu verstehen, was sie eigentlich wollen. Warum sind sie hier? Warum haben sie Spaß an ihrer Arbeit? Warum kommen sie jeden Morgen wieder oder stehen morgens auf und setzen sich an den Heimarbeitsplatz? Ich lege viel Wert darauf, das zu verstehen, was die andere Seite wirklich bewegt. Und ich habe viele Mitarbeitende, die gerne ein bisschen größer denken und ein bisschen weiterdenken wollen. Ich glaube, das sind genau die Menschen, die mit Komplexität in Zukunft umgehen können, weshalb ich sie fördere. Ich versuche sie dahin zu bringen, Dinge mal von anderen Seiten zu beleuchten als nur aus ihrer starren Perspektive. Denn viele Menschen schauen immer sehr eindimensional auf Themen und das muss man als Führungskraft definitiv ablegen. Ich lasse sie dann gern ein, zwei Tage mit den Gedanken alleine, bevor wir noch einmal darüber sprechen. So erweitern sie Stück für Stück ihre Perspektiven und gehen bei Schwierigkeiten oder Konflikten auf die Metaebene.
Katharina: Warum braucht es diese neue Form der Führung und Förderung? Oder anders: Warum hat aus deiner Sicht junge Führung Aussicht auf Erfolg?
Christoph: Die Führungsarbeit ist heute deutlich differenzierter in den Anforderungen und die Komplexität erfordert neue Fähigkeiten. Ich habe es immer für einen Erfolgsfaktor gehalten, die besonderen Assets von Mitarbeitenden zu sehen und diese verschiedenen Facetten zu fördern. Und so habe ich heute gleich mehrere Personen, die einen relativ guten, diversen Blick auf die Bank haben und die eigenständig mitdenken, wie so ein Haus funktionieren müsste. Und wirklich erfolgreich ist diese Strategie, wenn das Team wie ein Netzwerk funktioniert, in dem sich die einzelnen Assets und Perspektiven ergänzen und miteinander interagieren.
„KI kann oberflächliches Wissen und Methodiken vermitteln, aber Führung ist dann halt doch ein bisschen mehr.“
Katharina: Wenn du heute auf dein damaliges junges Führungs-Ich zurückschaust, was wäre denn so der beste Tipp, den du dir selbst geben würdest?
Christoph: Die vorhin genannte Bereitschaft zum Lernen und Reflektieren auszubilden, das habe ich zu Beginn bei weitem nicht gemacht. Ich war sehr dankbar für meinen ersten Workshop zum Thema Reflexion. Die Zettel, die dabei entstanden, habe ich tatsächlich noch heute, weil das einfach spannende Dinge sind. Auch wenn man zwanzig Mal das Gleiche hört, es muss einem manchmal wieder ins Gedächtnis gerufen werden.
Katharina: Viele Führungskräfte haben, wenn sie ganz ehrlich sind, ein Stück weit Angst, sich selber abzuschaffen. Hast du das auch?
Christoph: Am Ende des Tages habe ich diese Angst nicht. Ich glaube, wenn die KI etwas nicht ersetzen kann, ist es Empathie und Menschen in ihren Fähigkeiten verbessern. Sie kann oberflächliches Wissen und Methodiken vermitteln, aber Führung ist dann halt doch ein bisschen mehr.
Lieber Christoph, danke dir für das inspirierende Gespräch, wie auch für unsere Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren. - Ich bin gespannt, was kommt! :)
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