So höre ich es aktuell des Öfteren aus meinem Kundenkreis. Ich glaube, dass das ein Trugschluss ist. Es gibt einen Mitarbeiter im Homeoffice, eine Mitarbeiterin, die sich von unterwegs zuschaltet – remote ist nicht mehr wegzudenken. Wie in einer zunehmend hybriden Arbeitswelt Remote-Führung aussieht, darüber sprach ich mit Inga Höltmann, einer echten Expertin für den Kulturwandel in Unternehmen.
Katharina: Liebe Inga, du bist Team-Begleiterin und Speakerin für New Work und beschäftigst sich mit Themen wie Transformation und Veränderung von Unternehmen. Welche Rolle spielen dort hybride Arbeitsmodelle?
Inga: Eine große Rolle! Mein Herzensthema ist die Zusammenarbeit in hybriden Kontexten – und damit meine ich nicht, dass wir zwangsläufig alle hybrid oder remote arbeiten müssen. Vielmehr hat das hybride Arbeiten uns neue Perspektiven aufgezeigt, die wir vor Corona oft übersehen haben. Die Realität ist, dass es ein „Zurück“ in die Vor-Corona-Zeit nicht geben wird. Egal, wie sehr manche Unternehmen ihre Leute zurück ins Büro holen wollen, die Zusammenarbeit wird nie wieder so sein wie früher. Und das ist auch in Ordnung so. Es geht aber darum, dass Teams und Organisationen bewusst gestalten, wie sie miteinander arbeiten. Diese bewusste Gestaltung braucht Zeit und Ressourcen, sowohl Geld als auch das Engagement der Führungskräfte – und ein unbedingtes Commitment der Organisation zum Prozess.
Katharina: Du arbeitest auch mit internationalen Teams. Wie siehst du die Herausforderung, wenn Teams tatsächlich nur selten physisch zusammenkommen?
Inga: Es ist natürlich wichtig, dass sich Teams ab und zu auch physisch sehen. Remote bedeutet ja nicht, dass man sich nie trifft. Aber es kommt darauf an, diese Zusammenarbeit bewusst zu gestalten. Viele Themen wie Ausrichtung, Werte oder Kommunikation sind nicht ausschließlich hybride oder remote Themen, sondern allgemeine Aspekte, die jedes Team für sich klären muss. Die hybride Arbeitswelt bringt nur deutlicher ans Licht, wo es in der Kommunikation oder den Prozessen Defizite gibt.
„Wenn ich das Gefühl habe, ich bin nur dann wirklich auf Stand, wenn ich regelmäßig in der Raucherecke stehe, dann zeigt das, dass es offensichtlich für wichtige Informationen keine richtige Struktur und keinen richtigen Kanal gibt.“
Katharina: Und wo siehst du Defizite?
Inga: Früher war es doch so: Im Büro bekam man zufällig Informationen mit, ohne dass man merkte, dass die Kommunikation eigentlich nicht optimal organisiert ist. Im Großraumbüro konnte man mal eben jemanden fragen, wenn man nicht sicher war, wie der aktuelle Stand eines Projekts ist. In der hybriden oder remote Zusammenarbeit fehlt diese Nähe, und das zeigt, dass viele Unternehmen keine klaren Strukturen oder Prozesse für den Informationsfluss haben. Das Problem ist nicht die Hybridarbeit, sondern der Mangel an strukturierten Prozessen.
„Es geht in der Führung um diese Fragen: Bin ich mit meinen Mitarbeitenden in Kontakt? Gelingt es mir, mit ihnen im Austausch zu sein? Haben wir eine Team-Kohäsion? Oder habe ich das Gefühl, dass da Menschen sind, die irgendwie im Homeoffice unsichtbar werden?“
Katharina: Lass uns über das Thema Remote-Führung sprechen. Viele glauben noch, es gehe dabei nur um gut organisierte Online-Meetings. Wie siehst du das?
Inga: Es geht um so viel mehr! Ich verwende den Begriff „Remote Führung“ zwar hin und wieder, aber für mich geht es vor allem darum, ob man als Führungskraft in engem Kontakt mit seinem Team ist, ob die Kommunikation funktioniert und ob es gelingt, eine Kohäsion im Team zu schaffen. Die eigentlichen Herausforderungen liegen nicht in der hybriden Arbeit an sich, sondern in der Art und Weise, wie Teams geführt und miteinander verbunden werden. Führungskräfte müssen verstehen, dass die Bedürfnisse der Teams sich nicht am Arbeitsort festmachen. Vielmehr sollten sie Eigenverantwortung im Team fördern und den Raum für Selbstführung schaffen – ob die Mitarbeitenden dann vor Ort im Büro oder remote arbeiten, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
„Wir sind ein bisschen zu großzügig mit Meetings. Wenn ein Team mit acht Leuten eine Stunde lang meetet, dann ist es ein ganzer Tag Wertschöpfung, der da reingeflossen ist.“
Katharina: Welche drei Tipps würdest du Führungskräften geben, die ein neues Team übernehmen?
Inga: Der wichtigste Punkt ist meines Erachtens, dass jede Veränderung ein Kommunikationsprozess ist. Führungskräfte müssen Räume schaffen, in denen sich die Teammitglieder austauschen können – sei es in Meetings oder durch bilaterale Gespräche. Zweitens sollten Führungskräfte die Kommunikationsstrukturen im Team genau prüfen. Es ist wichtig zu überlegen, welche Kanäle genutzt werden und wie viel Zeit in diese fließt. Wenn ein Team drei Viertel seiner Arbeitszeit in Meetings verbringt, bleibt wenig Raum für Innovation. Deshalb sollten wir uns fragen: Brauchen wir das Meeting wirklich oder können wir das Anliegen auch anders lösen? Und dann: Müssen wirklich alle an diesem Meeting teilnehmen? Der dritte Punkt ist, dass die Kommunikation effizient gestaltet wird, um Ressourcen zu sparen und mehr Zeit für wertschöpfende Arbeit zu schaffen.
„Ich habe kurz vor Corona vom Ausland aus gearbeitet. In Meetings musste ich immer Zoom erklären und wir mussten zum Teil vorher Technik-Checks machen. Ich bin total happy darüber, dass mittlerweile schon allein diese Frage ‚Wo arbeitest du gerade?‘ gar nicht mehr kommt.“
Katharina: Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Wenn wir in 20 Jahren zurückblicken, was glaubst du, wird aus dieser Zeit um 2024 in der Arbeitswelt bleiben?
Inga: Ich glaube, das Wichtigste, was bleibt, ist die Offenheit und Flexibilität, von verschiedenen Orten aus zu arbeiten. Die Frage „Wo arbeitest du gerade?“ ist mittlerweile irrelevant geworden – und das ist ein großer Fortschritt. Diese Flexibilität bietet Unternehmen viele Möglichkeiten, z. B. bei der Rekrutierung über geografische Grenzen hinweg, Stichwort Fachkräftemangel. Aber diese Freiheit bringt auch die Verantwortung mit sich, eine starke Teamstruktur aufzubauen, sonst fehlt der Zusammenhalt. Es gibt viel Potenzial, aber es erfordert auch bewusstes Handeln von den Unternehmen, besonders von den Führungskräften.
Katharina: Vielen Dank für das Gespräch, Inga!
Inga Höltmann ist eine über die Grenzen von Deutschland hinaus bekannte Expertin für Kulturwandel in Unternehmen, New Work und Digital Leadership. Als Keynote-Speakerin, Beraterin und Coach ist sie darauf spezialisiert, Organisationen bei der Umsetzung wirksamer hybrider Zusammenarbeit zu unterstützen.
Katharina Kohlmayr ist Expertin für persönliche Entwicklung, Selbstführung und Führungskräfteentwicklung. Als Beraterin und Coach liegt ihr Fokus auf der Förderung bewusster, wirksamer Führung und der Resilienz in komplexen Zeiten.
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